Sexuelle Gewalt als Erziehungsmaßnahme in der DDR

Es ist ein unglaublich dunkles Kapitel der an Grausamkeiten reichen DDR-Geschichte. Zwischen 1961 und 1989 wurden jährlich schätzungsweise 3.000 Mädchen und Frauen wegen angeblicher Geschlechtskrankheiten in geschlossene Venerologische Stationen von Polikliniken und Krankenhäusern eingewiesen. Die jüngsten Insassen in diesen auch als „Tripperburg“ bezeichneten Einrichtungen waren 12, die ältesten über 70 Jahre alt.

 

Das dieses bislang kaum beachtete Thema ans Tageslicht kommen konnte, ist den Forschungen des Medizinhistorikers Florian Steger zu verdanken, der 2013 von der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt, Birgit Neumann-Becker beauftragt wurde, die Geschichte der Venereologischen Station der Poliklinik Mitte in Halle zu beleuchten.

 

Ursprünglich sollten auf diesen Stationen Geschlechtskrankheiten behandelt werden. Doch nach Auswertung zahlreicher Archivquellen und Gesprächen mit Insassen, Ärzten und Klinikpersonal wurde Steger klar: Es ging hier um etwas ganz anderes. Nur etwa 20 bis 30 Prozent der zwangseingewiesenen Frauen waren tatsächlich geschlechtskrank. Das Ziel lag somit nicht in der Behandlung Kranker, sondern wie Steger herausfand in der Erziehung durch medizinische Grausamkeiten.

 

Dem geltenden DDR-Recht zufolge war eine Einweisung nur angedacht, wenn man sich einer freiwilligen ambulanten Behandlung wiederholt verweigerte. Praktisch alle Insassen der so genannten Tripperburgen wurden jedoch umgehend und unter Zwang von Volkspolizei oder Staatssicherheit eingewiesen. Dort waren die Frauen den Schwestern und Ärzten hilflos ausgeliefert und mussten sich täglichen, aus Absicht grob durchgeführten gynäkologischen Untersuchungen unterziehen, manche für ein paar Wochen, manche auch monatelang. Als zusätzliche Folter wurden Fieberspritzen unter dem Vorwand verabreicht, unerkannte Krankheiten hervortreten zu lassen. Viele beschrieben Ihre Erlebnisse als eine Art täglicher Vergewaltigung. Und wo man die Frauen schon mal so schön hilflos in seiner Gewalt hatte, konnte man auch Tests mit ihnen durchführen, so geschehen in der Venerologischen Station in Berlin Buch, wo beispielsweise Lippenstifte an den menschlichen Versuchskaninchen getestet wurden.

 

Die Stationen waren Gefängnisse mit vergitterten Fenstern. Für eine Einweisung reichte das Gerücht von „häufig wechselnden Geschlechtspartnern“, „Herumtreiberin“ oder „Arbeitsbummelantin“ zu sein. Auch überforderte Eltern lieferten ihre Töchter in den Stationen ab, viele wurden aus den Jugendwerkhöfen überstellt, mit nur einem Ziel: Sie unter Gewalt zu sozialistischen Persönlichkeiten zu formen. 

 

Hinter all dem stand laut Steger ein merkwürdiges Bild von der Frau, auf die kein Verlass sei und die daher zwangseingewiesen und zu einem neuen Menschen erzogen werden sollte (Manch einer der SED-Greise mag es bedauert haben, dass Scheiterhaufen aus der Mode gekommen waren).  Die Scham vor den traumatischen Erlebnissen und das unvermeidliche Verbot darüber zu sprechen verhinderten, dass diese Form der Folter, der Schätzungen zufolge bis zu 100.000 Frauen zum Opfer gefallen sind, früher bekannt wurde.

 

Weitere Informationen zu diesem Thema gibt es hier:

 

„Für mich war es jeden Tag eine Vergewaltigung“ Quelle: WELT Online

Vom Albtraum der „Tripperburg“ noch heute traumatisiert Quelle: WELT Online

Zur Strafe in die "Tripperburg" Quelle: ZEIT Online

"Antreten zur täglichen Vergewaltigung" Quelle: mdr Online

 

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